Die Christussäule im Hildesheimer Dom ist eines der Kunstwerke aus der Zeit Bischof Bernwards, deren herausragende Bedeutung ihr zusammen mit der ebenfalls im Dom befindlichen Bernwardstür und der Bilderdecke in St. Michael die Einstufung als Weltkulturerbe eingetragen hat.
Die Christussäule war für St. Michael geschaffen worden, die Gründung und Grablege Bernwards. Dort stand am Beginn des Ostchors der Kreuzaltar. Hinter dem Kreuzaltar erhob sich die Bronzesäule mit dem Triumphkreuz. Der Standort unter dem Triumphbogen, den Gallistl aus den schriftlichen Quellen erschloss, wurde 2006 durch Grabung bestätigt. Vor dem Kreuzaltar wiederum stand eine kupferbeschlagene Marmorsäule, deren Stein aus dem östlichen Mittelmeerbereich stammt und die späteren Quellen zufolge ein Geschenk Ottos III. an Bernward war. Damit war eine Gleichsetzung des Kreuzaltars mit dem Opfertisch im Vorhof des salomonischen Tempels hergestellt, der ebenfalls zwischen zwei Säulen (den Bronzesäulen Jachin und Boas) gestanden hatte. Über der Christussäule hing bis 1662 ein großer Radleuchter mit dem Porphyrkrug in der Mitte, der, von der Hochzeit zu Kana stammend, ebenfalls ein Geschenk Ottos III. an Bernward gewesen sein soll.
Diese Verbindung von Säulenkreuz, Altar und Jerusalemleuchter hatte ihr Vorbild im Golgota, den man mit dem Vorhof des Tempels gleichsetzte. Auch hat der Abstand von ca. 42 m zwischen dem einstigen Standort der Christussäule und der Grablege Bernwards in der Westkrypta von St. Michael eine Analogie in der Entfernung, die laut Pilgerberichten in der Grabeskirche zwischen Auferstehungsrotunde und Golgota lag.
Es handelt sich um eine Ehrensäule, die Bernward in bewusster Nachahmung der Trajans- und der Mark-Aurel-Säule in Rom aus Bronze gießen ließ. Sind dort die Kriegstaten der Kaiser in spiralförmig sich aufwärts windenden Bilderfriesen dargestellt, so sind es hier die Friedenstaten Christi, beginnend mit der Jordantaufe und endend mit dem Einzug in Jerusalem. Gekrönt wurde die Säule ursprünglich von einem Triumphkreuz.
Die Christussäule (Höhe 3,79 m, Durchmesser 58 cm) beeindruckt, abgesehen von der technischen Leistung, durch die für ihre Zeit ganz ungewöhnliche Lebendigkeit und Bewegtheit ihrer halbplastisch herausgearbeiteten Figuren.
Thematisch ergänzt sie die Darstellungen der Bernwardstür, wo auf die Geburtsgeschichte Jesu sogleich Passion und Auferstehung folgen.
Beide Kunstwerke wie Bernwards Kunst- und Architekturschaffen insgesamt spiegeln sein Bemühen wider, seiner Bischofsstadt im Rahmen des von den Sachsenkaisern erneuerten christlichen Imperium Romanum die Stellung eines nordischen Rom zu geben und zugleich den Herrschern in Christus das Vorbild eines gerechten und gottverbundenen Königtums vor Augen zu stellen. Nicht zufällig wird auf der Christussäule das Drama um die Hinrichtung Johannes des Täufers mit dem schwachen und ungerechten König Herodes in auffallender Breite dargestellt.
Ergänzung P.G.:
Man könnte das Bildprogramm der Christussäule auch als einen spiralförmigen Aufstiegsweg der Seele in der Nachfolge Jesu verstehen. Auf ihn senkt sich herab das göttliche Erbarmen in der Gestalt des himmlischen Jerusalems, dargestellt im ottonischen Radleuchter. Bernward hätte damit neben allem anderen auch seine ganz persönliche Auferstehungshoffnung symbolisch zum Ausdruck gebracht.
Eine entsprechende Vorstellung sidet sich auch im Abendgebt am Ende des Tages:
Unser Abendgebet steige auf zu dir, Herr,
und es senke sich auf uns herab dein Erbarmen.
Dein ist der Tag, und dein ist die Nacht.
Lass, wenn des Tages Schein vergeht,
das Licht deiner Wahrheit uns leuchten.
Geleite uns zur Ruhe der Nacht
und vollende dein Werk an uns in Ewigkeit. (EG 853)