Und es kamen etliche zu ihm, die brachten einen Gichtbrüchigen von vieren getragen. Und da sie ihn nicht konnten zu ihm bringen vor dem Volk, deckten sie das Dach auf, da er war, und machten eine Öffnung und ließen das Bett hernieder, darin der Gichtbrüchige lag (Markus 2, 3-4).
Von Jesus wird berichtet, dass er dem Gichtbrüchigen angesehen hat, was ihn krank machte: es war tiefsitzende Schuld, die ihn lähmte. "Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben." Das war der befreiende und erlösende Satz, den Jesus zu ihm sprach und der den Gichtbrüchigen wieder auf die Beine brachte. Dass solche Beobachtungen nichts Ungewöhnliches sind, mag daraus erhellen, dass es auch heute aufschlußreiche und zugleich verständnisvolle Beschreibungen der Charaktereigenschaften von Polyarthritis-Patienten gibt, die einem klarmachen, wie viele blockierte Aggressionen hinter diesem Krankheitsbild stecken.
Ich will dem jetzt nicht in allen Einzelheiten nachgehen, sondern nur einen Hinweis geben auf ein interessantes Buch, in dem man das nachlesen kann: Thorwald Dethlefsen/ Rüdiger Dahlke, "Krankheit als Weg - Deutung und Bedeutung der Krankheitsbilder", C. Bertelsmann-Verlag, München 1983.
Mir kommt es in diesem Zusammenhang auf etwas anderes an, nämlich darauf, deutlich zu machen, dass wir aus der Haltung eines Menschen etwas ablesen können über sein derzeitiges Befinden. Eltern und Erzieher wissen das, wenn sie ihre Kinder aufmerksam beobachten. Da läßt eins die Schultern traurig hängen, ist in sich gekehrt oder versucht, hinter vorgezogenen Schultern etwas zu verbergen. Bei Erwachsenen wirken sich zu große Belastungen oft auf die Bandscheiben aus, oder überanstrengte Gelenke zeigen, dass einer zu weit gegangen ist. Immer wieder drückt sich in der Körperhaltung aus, was mit uns los ist. Da nützen Appelle und sportliche Übungen wenig, wenn wir das Äußere nicht als Ausdruck unseres inneren Zustandes begreifen.
Wer offen ist und seine eigene Mitte gefunden hat, zeigt das auch in seiner ganzen äußeren Haltung. Deshalb ist es wichtig, zu einer Begegnung mit dem eigenen Innern zu kommen. In der biblischen Geschichte sind es Freunde, die dem, der sich nicht mehr halten kann, zu der entscheidenden Begegnung verhelfen. Sie "decken das Dach auf", "machen eine Öffnung", "lassen herunter". Deutlich ist die Symbolkraft dieser Sprache: es geht gar nicht nur um einen äußeren Vorgang, sondern um eine Begegnung "im Innern des Hauses".
Wir achten so viel auf das äußere Wohlbefinden unseres Körpers, treiben Sport schon im Kindesalter, aber wer achtet auf unsere Seele? Wo sind die Freunde, die für unsere Haltungsschäden nicht nur Gymnastik sondern auch Meditation und Versenkung verschreiben? Wenn einer seine Schuld, seine Verzweiflung, seine Ängste loswerden kann bei einem, der ihn versteht, dann vermag das mehr zu einer aufrechten Haltung, zum Gehen und Stehen auf eigenen Beinen, zum Erwachsenwerden beitragen als viel Sport und Gymnastik. Die sind auch wichtig, entschuldigen aber keine Versäumnisse in der Pflege der Seele eines Menschen.
Vgl. dazu: Peter Godzik/ Wolfgang Weiß, Die Heilung des Gelähmten. Eine Meditation zu Markus 2,1-12, in: Peter Godzik (Hrsg.), Sterbebegleitung - herzlich und zugewandt. Mit zahlreichen praktischen Hilfen, Rosengarten b. Hamburg: Steinmann 2012, S. 39-41.