Auch der Seelsorger tritt ans Bett des Kranken. Bis heute gibt es in der Krankenhausseelsorge einen Pluralismus von Methoden und Zielen in der Begleitung. Je nach Person und Neigung des Seelsorgers wird das Krankenbett als missionarisches Betätigungsfeld, als Ort kirchlicher Verkündigung und des Betens, als Ablageplatz für Traktate, existentieller Fragen des Seelsorgers oder auch als Raum für Gesprächstherapie angesehen. Zu Beginn einer Begleitung haben Patient und Seelsorger oft sehr unterschiedliche Erwartungen, wissen eigentlich selten, was sie voneinander wollen, was sie füreinander tun können.
Wenn die Kirche sich als Kirche des Wortes versteht, die Verkündigung an zentraler Stelle steht und die Gläubigen sprachfähig machen möchte, so muß man in der Seelsorge am Kranken hörfähig werden. Kranke, vor allem unheilbar Kranke und Sterbende, sind in einer existentiellen Grenzsituation, die nur sie allein beschreiben und formulieren können: In den verschiedenen Leidenssituationen gibt es die je eigene Betroffenheit und Erfahrung des Leidenden, die er eventuell mitteilt.
Dabei ist es kein Nachteil, daß man in vielen Leidenssituationen als Begleiter sprachlos ist, dann fällt es vielleicht leichter, wenigstens zu schweigen. Vor allem die Sterbebegleitung ist keine Angelegenheit von lautem Geschrei. Der Tod wählt das Schweigen und die Stille. Nur der erkennt ihn, der selbst leise wird. Kranken- und Sterbebegleitung ist eine Wegstrecke des demütigen Hörens und des liebevollen Wartens. Antworten für Schwerstkranke, die ich dann als Seelsorger geben kann, werden so verschieden ausfallen wie die Menschen, die mich fragen oder mit mir sprechen wollen. Als Gesprächspartner ist der Kranke mir immer einen Schritt voraus, denn er bestimmt, wo er auf dem Weg des Leidens steht und wohin er mit mir gehen möchte.
Ich habe mich mit unheilbar Kranken über Modelleisenbahnen unterhalten, mit anderen gebetet. Ich habe Kissen aufgeschüttelt und Schweiß abgewischt. Ich habe versucht, theologisch etwas darzulegen, ich habe geschwiegen angesichts der Sprachlosigkeit und Lautlosigkeit des Todes. Immer wieder bin ich dabei, auch auf Bitten der Kranken, zu Texten aus der kirchlichen Tradition zurückgekommen. Halt gaben den Kranken Worte aus Texten, die sie als junge Menschen einmal gelernt haben und die ihnen vertraut waren. Dazu gehören neben Vaterunser und Glaubensbekenntnis Verse aus den Psalmen, aus dem Alten und Neuen Testament sowie einige Liedverse.
Für meine Arbeit ist die Geschichte der Emmausjünger wichtig geworden. Sie steht in der Bibel bei Lukas im 24. Kapitel, die Verse 13 bis 34. Diese Geschichte erzählt für mich beispielhaft von einem gemeinsamen schweren Weg zu einem vorgegebenen, aber noch nicht erreichten Ziel. Die Jünger dürfen dem auferstandenen Jesus auf dem Weg nach Emmaus von ihrer Angst, ihren Zweifeln, von dem, was ihr Herz bewegt, berichten. Sie können dank seiner Begleitung ohne Verharmlosungsversuche und Abwehr über das ausführlich und reflektierend sprechen, was sie bedrückt. Da ist keiner, der ihre Worte nicht hören will, der vorschnell beschwichtigt, der ihre Ängste, weil ihm selber ängstlich ist, verdrängt. Die Jünger gehen anfangs den Weg in die Dunkelheit hinein, ohne eine Hoffnung auf Zukunft.
Aber während des gemeinsamen Weges wird langsam eine Hoffnung sichtbar, die über die gegenwärtige Zeit hinausgreift. Sie gelangen an einen Ort, wo sie beten können und Gottes Nähe in der Feier des Abendmahls mit Christus verspüren dürfen. Sie finden die Kraft, ihr gegenwärtiges Leben weiterzuführen. "Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden", diese Bitte der Jünger damals ist die Bitte nach liebender und tragender Begleitung im Dunkel des Lebens und bedeutet für mich heute auch Licht und Hoffnung angesichts des Leidens und Sterbens im Krankenhaus.
Wiltrud Hendriks, Mit Sterbenden leben. Verführung zur Barmherzigkeit, Hannover: Luth. Verlagshaus 1987, 21988, S. 62 ff.