Die Bühnenwerke des Bildhauers Ernst Barlach (1870-1938) hatten ihre große Zeit in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Lohnt es sich, seine acht Dramen unter dem Aspekt der Zukunftsgestaltung wieder hervorzuholen? Sie sind erstaunlich modern. In ihrer ungewöhnlichen Sprache - Barlach war nicht nur Bildhauer, sondern auch Worthauer - thematisieren sie Probleme, die uns heute noch beschäftigen: Mutterbindung, Suizidgefährdung, Spießertum, Stigmatisierung, Suizidbeihilfe, Bequemlichkeit und Menschenverachtung. Das alles auf dem Hintergrund einer Gottvergessenheit, die unseren Wertekompass zu zerstören droht: "Sonderbar ist nur, daß der Mensch nicht lernen will, daß sein Vater Gott ist" (D 95). Barlachs eigenes Bekenntnis lautete: "Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich" (D 571).
Barlach gab sich mit bloßer Gottergebenheit nicht zufrieden. Im Drama "Die Sündflut" (1924) stellt er dem frommen Noah den aufmüpfigen Calan entgegen, der in hartnäckigem Ringen mit Gott diesem immer ähnlicher wird: "Auch ich fahre dahin, woraus ich hervorgestürzt, auch an mir wächst Gott und wandelt sich weiter mit mir zu Neuem ... Er ist ich geworden und ich Er - Er mit meiner Niedrigkeit. Ich mit seiner Herrlichkeit - ein einziges Eins" (D 382).
Barlach deutet damit seinen hohen Anspruch an die Zukunftsgestaltung des Menschen an: nicht einfach brav zu machen, was einem gesagt wird, sondern zu kämpfen und zu ringen, zu leiden und sich hinzugeben. Lebenwollen stellt eine große Herausforderung dar: Zukunft lässt sich nur unter Einsatz des eigenen Lebens mit allen Konsequenzen verantwortlich und liebevoll gestalten.
Eine Woche lang werden uns die weiteren Barlach-Dramen begleiten. Zitate nach den bei R. Piper erschienenen Ausgaben: D = Dramen, P = Prosa und B = Briefe. (Die folgenden Nachdenktexte waren ursprünglich bestimmt für den Jahreskalender "WeiterGehen 2023: Zukunft gestalten", passten aber nicht in den Rahmen der dort behandelten Bibeltexte.)