Das Floß der Medusa

Jean Louis André Théodore Géricault (1791-1824):
Das Floß der Medusa, 1818/19, Größe: 4,91 x 7,16 m, Öl auf Leinwand,
Paris, Louvre

von Nina Bühler, Luitpold-Gymnasium München, Jahrgangsstufe 12

Eindruck

Géricaults "Floß der Medusa" hinterlässt bei mir als Betrachter einen starken, tiefsitzenden Eindruck. Das furchtbare Leid einer ganzen Gruppe wird in seinem Werk sehr deutlich veranschaulicht, auch die Verzweiflung, von der die Menschen befallen sind, ist klar erkennbar und erzeugt vor allem Mitgefühl und Grauen, aber auch Neugierde, wie es denn zu diesem Unglück gekommen ist, ob Rettung in Sicht ist, ob es Tote gibt und um was für Menschen es sich hierbei handelt. Besonders der Ausdruck der Hoffnungs- und Hilfslosigkeit in den Gesichtern der Menschen interessiert mich dabei sehr; die Art, wie Géricault die absolute Verzweiflung der Leidenden auf dem Bild ausdrückt. Auch die Haltung der Menschen verdeutlicht ihren Gemütszustand und auch ihre körperliche Verfassung. Einige wenige haben noch genug Kraft, vom Überlebenswillen angetrieben, sich aufzurichten, dem vermeintlich am Horizont zu sehenden Schiff, das auf Rettung hoffen lässt, zuzuwinken. Andere schaffen es nur mit Mühe, den Arm zu heben, geschweige denn sich in eine sitzende Position zu bringen und wieder andere befinden sich schon in den letzten Atemzügen, zu schwach, den Kopf zu bewegen oder sich vor dem Wasser in Sicherheit zu bringen. 

Beschreibung

Das Bild ist sehr groß und liegt im Querformat vor. Auf 4,91 x 7,16 Metern Fläche ist ein Floß abgebildet, das auf dem offenen Meer treibt. Darauf befinden sich etwa 15 in Lumpen gekleidete Menschen. Ganz links unten liegt ein unbekleideter Mann, er ist vermutlich schon tot, weiter mittig streben die Verzweifelten nach oben, bis in der rechten Bildhälfte ein Mann zu sehen ist, der sich auf einem Fass stehend und mit Hilfe eines Kameraden fast vollständig aufgerichtet hat. Im rechten, unteren Bildrand liegt ein Mann, nur mit einem Lendentuch bekleidet. Sein Kopf hängt im Wasser, die Haut ist wächsern und blass, er ist tot. Ebenso der Nackte, vom Freund oder Vater Betrauerte, in der linken Bildhälfte scheint das Zeitliche schon gesegnet zu haben. Das am Mast befestigte Segeltuch ist vom Wind aufgebläht, das Meer um das Floß herum stürmisch, die Wellen schlagen hoch und wirken bedrohlich, wie auch die dunklen, sich am Himmel auftürmenden Wolken im Hintergrund links unten und rechts oben. Der Himmel wird stellenweise erhellt, von der unter- oder aufgehenden Sonne, sie selbst wird aber durch Segel, Wolken und Menschen verdeckt. Haltung und Gesten der Lebenden auf dem Floß sind vom Betrachter weg nach dem hellen Fleck am Horizont ausgerichtet, wo sich wie ein Hoffnungsschimmer für die Verzweifelten der Mast eines in der Ferne vorüberziehenden Schiffs zeigt. In ihrer Verzweiflung winken sie, schwenken sie Tücher und man kann sich vorstellen, wie sie sich die Seele aus dem geschwächten Leib schreien um auf sich aufmerksam zu machen.

Flächenordnung

Das Floß nimmt in der Bildmitte mitsamt seiner "Besatzung" etwa die Hälfte der Bildfläche ein. Eine Kante des Floßes zeigt auf den Betrachter zu, sie grenzt an den Bildrand an, ist eigentlich schon nicht mehr zu sehen. Rechts und links, im unteren Drittel des Bildes, stoßen die Floßkanten auf den Bildrand auf, sind fest in den Rahmen eingespannt, wirken verkeilt. Der obere Bildrand wird vom Mast gleichsam aufgespießt. Die Menschen sind vom linken unteren Bildrand zum rechten oberen angeordnet und bilden dabei eine Diagonale. Etwa die oberen zwei Fünftel sind Himmel bzw. die bedrohlichen Wolken zu sehen, unterbrochen vom Segeltuch, dem Mast und den Köpfen bzw. Oberkörpern einiger Menschen. Das Segeltuch nimmt in der linken oberen Bildecke gut die Hälfte der Fläche ein. Links unterhalb davon schlägt eine Welle hoch auf.

Raumordnung

Im Raum sind mehrere ungleichgroße Dreiecke sowie Pyramiden zu entdecken. Der Mast mitsamt den beiden Befestigungsseilen bildet eine dieser Pyramiden, weiter rechts bilden die nach oben strebenden Männer eine kleinere Pyramide. Auf den Betrachter zu zeigt die Seite eines Dreiecks in Form der vorderen Kante des Floßes. Ganz grob gesehen machen die im Meer treibenden Gegenstände und Menschen eine Raute aus, wobei dann in jedem Eck des Bildes ein mehr oder weniger definiertes Dreieck zu sehen ist.

Farbordnung

Etwa in der Mitte ist das Bild durch das am Mast befestigte Tuch und die Schatten, die von Männern und Mast geworfen werden, stark verdunkelt. Auch die Wolken rechts oben sind grau bis schwarz, ebenso das Wasser in der linken Bildhälfte. Das Floß und die Menschen sind in weit angelegten Brauntönen gemalt, der Himmel bzw. der sichtbare Horizont lichtgelb und sehr hell. Géricault arbeitete bei den Tüchern und Fetzen, die die Menschen teilweise umhüllen, viel mit Rot, Braun und leinenartigem Weiß; auffällig sind die Farben der Stoffstücke, mit denen nach dem rettenden Schiff gewunken wird, sie sind rot-weiß und weiß, wobei sich das Rot-Weiß vom sehr dunklen Hintergrund abhebt. Das große Segeltuch ist in ockerartigem Braun gehalten, das Holz des Floßes ist ebenfalls hellbraun. Das Wasser ist abgesehen von den sehr schattigen, dunklen Flächen türkisblau, von weißem Schaum gekrönt.

Bildgegenstände

Auf dem Bild ist ein Floß zu sehen, auf offenem Meer treibend, an dessen stabilem Mast ein Segeltuch befestigt ist. Auf ihm befinden sich 17 Männer, nur in Lumpen oder gar nicht bekleidet. Das Floß scheint roh gearbeitet, wie zusammengezimmert aus den Überresten eines nicht mehr seetauglichen Schiffes, ein Brett liegt quer über dem Floß, mitten unter den kranken Männern. Um den Mast ist ein großes Tuch verknotet, unter dem sich einige der Männer aneinanderdrängen. Auf dem Floß befinden sich zwei Fässer und einige Holzkisten oder Bretter, die aber nur teilweise zu sehen sind, da sie von den Männern verdeckt werden. Stürmisches Wasser ist zu sehen, welches das Floß umgibt, außerdem noch der Horizont und die dunklen Wolken.

Interpretation

Das Motiv des Schiffbruchs ist hier zu sehen als Symbol des Ausgeliefertseins des Menschen an die Elemente.

Die dunklen Farben, in denen Géricault die Wolken am Himmel und das Wasser gemalt hat, auf dem die Schiffbrüchigen treiben, wirken unfreundlich, bedrohlich und kalt. Der Horizont sieht durch die Düsterkeit nicht freundlich und einladend aus, sondern unerreichbar, herzlos und nur neue Gefahren bringend. Was dem Betrachter eine gewisse Festigkeit und Sicherheit vorgaukelt, ist die Stellung des Floßes, es ist eingerahmt von den Bildkanten, wirkt fast wie befestigt. Dabei treibt es auf offener See, weit von Festland und Rettung entfernt. Die weißliche Farbe, die wächserne, durchscheinende Haut der Schiffbrüchigen lässt auch bei den noch Lebenden an Tod und Verwesung denken. Die Diagonale, in der die Männer sich nach rechts oben auftürmen, erweckt den Eindruck des gemeinsamen Strebens nach oben, der Winkende erhält von den unteren, schwächeren Kraft, um das Leben aller zu retten.

Théodore Géricault schuf das historisch bedeutende Werk "Das Floß der Medusa" in den Jahren 1818 und 1819. Anstoß für diese Arbeit gab ihm ein dramatisches, wirkliches Ereignis: Die französische Fregatte "Méduse" lief bei einer Afrikafahrt auf Grund, jede der zahlreichen Rettungsaktionen scheiterte, was dazu führte, dass 150 Schiffbrüchige 27 Tage lang hilflos und verzweifelt auf dem offenen Meer trieben. Géricault zeigte sich tief bewegt von den Aktionen heroischer Selbstlosigkeit der Retter, gegenseitigen Kämpfen auf dem Floß und dem Kannibalismus, der sich in dieser großen Not und nach dem wochenlangen Hungern einstellte. Er beschäftigte sich ausführlich mit diesen Themen, schuf zahlreiche Wachsmodelle, Skizzen und Studien von Leichen und einzelnen Körperteilen. Zu diesem Zwecke verbrachte er Tage und Wochen in Leichenschauhäusern und den Anatomieabteilungen von Krankenhäusern.

Siehe auch: Entstehungsgeschichte des Gemäldes