Das Wunder der Weihnacht
Das Wunder der Weihnacht besteht darin,
daß Gott von sich aus die zerbrochene Gottebenbildlichkeit im Menschen
wiederherstellt in diesem Kind in der Krippe. Es ist ein armseliger Anfang,
bedroht und gefährdet von allen Seiten. Aber es ist ein Anfang, der
weitergeht und den niemand mehr herausschaffen kann aus dieser Welt - auch
Tod und Teufel nicht. Damit sind wir gerettet - es kann etwas wachsen und
neu werden in uns. Unser Herz kann zum Stall und zur Krippe werden, in
dem das Gotteskind, unsere menschliche Würde, so wie wir gemeint sind
von Anfang an, neu geboren werden kann. Klein und bescheiden fängt
es an, aber es hat eine große Verheißung: "Seht, welch eine
Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir - wir! - Gottes Kinder heißen
sollen - und es auch sind!" (1. Johannes 3,1)
Wenn wir das verstanden haben, daß
nach der Geburt des Gottessohnes in der Heiligen Nacht wir selber an Weihnachten
zu Gotteskindern geworden sind, dann ist alles gut, dann ist Gott mit seiner
frohen und liebevollen Botschaft bei uns angekommen. Denn um anderes oder
weniger geht es nicht. Was nützt uns die Geburt eines Heilandes, der
uns fremd bleibt, den wir nicht annehmen können in unserem persönlichen
Leben? Wenn nur dieser eine da oder auch noch ein paar andere zu Gotteskindern
werden und nicht wir selbst - jeder und jede einzelne von uns.
Das Bibelwort aus dem 1. Johannesbrief
enthält nicht nur die befreiende Botschaft für heute: Du bist
ein Gotteskind!, sondern auch das Evangelium für die kommenden Tage
und Zeiten des neuwerdenden Jahres und für unsere darin sich wandelnde
Lebensgeschichte: "Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein." (1.
Joh. 3,2) Das Ziel ist klar: wir werden christusförmig werden, wachsen
zu ihm hin, der das Haupt ist.
In unserem Christsein den Christus anziehen
und in sein Antlitz verwandelt werden: Das wird nicht auf einmal geschehen
können, das wird viel Zeit brauchen und durch viele Ängste und
Nöte hindurchgehen. Christus ist das auch nicht erspart geblieben,
zu seufzen und zu weinen, geängstigt und geschlagen zu werden. Ja,
die tiefste Einsamkeit und den Foltertod hat er ertragen müssen und
ist darin in seinem Vertrauen nicht zuschanden geworden. "Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen", hat er geschrien wie so viele gequälte
Menschen. Aber er hat doch am Ende sagen können: "Vater, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun!" Und: "In deine Hände befehle
ich meinen Geist."
Es ist nicht leicht, diese Haltung der
Liebe und Barmherzigkeit anzuziehen und darin ein Gotteskind zu werden.
Es geht eigentlich nur, indem wir uns ganz bewußt darauf vorbereiten
- wie das z.B. ein Künstler oder Sportler tut, der etwas Großes
leisten möchte. Im Wettkampf oder in der Darbietung vor anderen kommt
es darauf an, sich ganz bewußt zu konzentrieren, all das Nebensächliche,
Verführerische und Ablenkende abzutun und ganz da zu sein, damit das
gelingt, was ich mir vorgenommen habe. Menschen, die solches vorhaben,
geben oft durch die Kleidung zu erkennen, in welcher Konzentration sie
sich befinden, worauf sie all ihr Augenmerk richten wollen.
Deshalb ist ein Vorgang so bedeutsam,
der sich alljährlich am Heiligen Abend im Schleswiger Dom abspielt:
Vor aller Augen bekommt das Christuskind aus dem Brüggemann-Altar
ein neues weißes Kleid angetan und wird dann zurück an seinen
Platz im Sakramentshaus des Altars gebracht. Es ist ein Vorgang uns zur
Mahnung und uns zur Erinnerung: Auch wir sollen Christus anziehen, uns
reinigen von aller Sünde, ein neues Gewand anlegen - das weiße
Gewand unserer Taufe und Verbundenheit mit Christus. Denn dazu ist Christus
erschienen: daß er die Sünde wegnehme und uns ein neues Leben
ermögliche in wiederhergestellter Gottebenbildlichkeit und unverlierbarer
Gotteskindschaft.
Dazu ist die Kirche da, dazu hat Christus
das Abendmahl eingesetzt: Daß wir Menschen befreit werden von der
Last eines verfehlten Lebens und einen neuen Anfang wagen dürfen.
Das also ist die Botschaft von Weihnachten: Gott schenkt uns seinen Sohn
- seht, welch eine Liebe!
Propst Peter Godzik, Ratzeburg