Als aber die Zeit erfüllt war, sandte
Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit
er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft
empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt
in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht
mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
(Galater 4,4-7)
Auf den ersten Blick ist das ein etwas spröder und fremder Text, der uns da zu Weihnachten begegnet. Nicht der Glanz der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium. Und doch enthält er das Wesentliche von Weihnachten in dichter und präziser Sprache. Wie eine Knospe, die sich entfaltet, wenn wir uns nur ein wenig Zeit nehmen, ihre Kraft und Schönheit zu betrachte.
„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn ...“
Paulus hat damit ohne Frage ein geschichtliches
Ereignis gemeint: die Geburt Jesu in Bethlehem im judäischen Lande;
die Erfahrung des Glaubens, daß Gott sich in diesem Menschen in besonderer
und einmaliger Weise uns Menschen zugewandt hat. Aber das eigentliche Geheimnis
von Weihnachten liegt in seiner Wiederholung! „Alle Jahre wieder kommt
das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“, so singen
wir. Offenbar erfüllt sich die Zeit immer wieder, in der es nötig
wird, daß Gott uns seinen Sohn schickt.
Freilich nicht so, daß er in einem
äußeren Sinn immer wieder in Erscheinung tritt. Nein, da muß
es bei dem einmaligen Ereignis in Bethlehem damals bleiben. Aber doch so,
daß er innerlich in uns immer wieder von neuem geboren wird, damit
wir heil werden. Angelus Silesius, der große schlesische Mystiker,
hat das einmal so ausgedrückt: „Wär’ Christus nur in Bethlehem
geboren und nicht in dir, du bliebst in Ewigkeit verloren.“
Alle Jahre wieder ist die Zeit reif für
uns, daß der Christus neu geboren wird in uns und unsere Herzen verwandelt.
Das gilt für das Leben des einzelnen, für unsere Familien und
für die Gesellschaft, in der wir leben. Wir machen viele Fehler im
Laufe eines Jahres, laden Schuld auf uns, kommen vom Weg ab und irren umher.
Da wird es Zeit, daß wir zurückfinden zum Grund unseres Lebens:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein
Wohlgefallen.“
Jedes Jahr wenigstens einmal zur Weihnachtszeit
werden wir daran erinnert, worauf wir vertrauen können in unserem
Leben, was wirklich trägt in einer dunklen und ungerechten Welt.
Wie viele Menschen haben geseufzt in diesem
Jahr, haben sich verloren und verlassen gefühlt im persönlichen,
im familiären und im politischen Leben. Und nun ist wieder Weihnachten
geworden: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn ...“
Das heißt: Wir sind nicht allein. Uns begleitet Gottes Liebe. Sie
will von neuem geboren werden in unseren Herzen und uns verwandeln zu Menschen
seines Wohlgefallens.
„Geboren von einer Frau und unter das Gesetz gestellt ...“
Wieder meint Paulus damit ein geschichtliches
Ereignis und eine einmalige, unwiederholbare Erfahrung: Jesus wird geboren
von einer jungen Frau, Maria, und lebt sein Leben unter den Bedingungen
der damaligen Zeit mit ihren Vorschriften und Regelungen, ihren Gesetzen
und Machtstrukturen. Und doch enthält auch diese Bemerkung ein tiefes
Geheimnis, das Zeiten und Räume überschreitet und auch etwas
aussagt über unser Leben und über unsere Situation.
„Geboren von einer Frau und unter das
Gesetz gestellt ...“ - diesen Satz könnten wir von jedem von uns sagen
und darin die beiden Pole entdecken, zwischen die unser Leben eingespannt
ist: das weibliche und das männliche Element unseres Lebens. Jeder
trägt ein Stück vorbehaltlose Liebe in sich, das weibliche Prinzip
seines Lebens, und jeder trägt ein Stück Gesetz in sich, das
männliche Prinzip seines Lebens. Symbolisch verdichtet finden wir
diese beiden Prinzipien in zwei Gestalten der Weihnachtsgeschichte wieder:
in Maria und Herodes. Auf der einen Seite die hingebungsvolle, liebende
Frau: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Auf der anderen Seite der machthungrige
und um seine Sicherheit besorgte Mann: „Da das der König Herodes hörte,
erschrak er ...“
In jedem von uns lebt ein Stück Maria
und ein Stück Herodes: Wir versuchen, das Neue in uns zum Leben zu
erwecken, den Christus in uns zu gebären. Und gleichzeitig sind wir
besorgt, halten fest am Alten und Gewohnten, versuchen zu ersticken, was
sich da an Neuem regt, weil wir Angst haben.
„Geboren von einer Frau und unter das
Gesetz gestellt ...“ - das beschreibt unser aller Situation, und es ist
die Frage, was am Ende den Sieg davonträgt - das Prinzip der Liebe
oder das Prinzip der Sicherheit, die Maria oder der Herodes in uns.
Wenn wir uns die Welt anschauen, in der
wir leben, dann spricht viel dafür, daß Herodes immer wieder
gewinnt und die Oberhand behält - wenn wir einander unterdrücken
und abschrecken, mit dem Untergang bedrohen und gegenseitig verteufeln,
nur um unsere eigenen Privilegien und Machtstrukturen zu retten.
Aber der Herodes-Kultur in uns und um
uns herum begegnet immer wieder das Wunder einer Geburt. Ein Mensch wird
geboren, nackt und bloß, hilflos und klein, auf unsere Fürsorge
angewiesen. Und darin liegt am Ende doch größere Kraft als im
Festhalten und Töten.
Weihnachten lehrt uns, dem Leben mehr
zu vertrauen als dem Tod, der Liebe mehr als all unserer Angst.
Propst Peter Godzik, Ratzeburg