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Ricarda Huch

Ricarda Huch über Otto III.

Otto III. ließ sich vom Bischof Adalbert von Prag, der seine Diözese verlassen hatte, weil er unter der Rohheit und Widersetzlichkeit der Böhmen litt, ermahnen, sich des Kaisertums nicht zu überheben, sondern eingedenk zu sein, daß er Staub sei, und kniete weinend vor den Eremiten, die damals in Italien den Ruf der Heiligkeit genossen. Er gab sich abwechselnd schrankenlosen Herrschaftsansprüchen und haltloser Zerknirschung hin. "Euretwegen", rief er den aufständischen Römern zu, "habe ich mein Vaterland und meine Angehörigen verlassen. Die Liebe zu euch ließ mich meine Sachsen und alle Deutschen, mein eigen Blut verschmähen. Euretwegen habe ich die Mißgunst und den Haß aller auf mich geladen, da ich euch über alle stellte. Und für all das habt ihr euren Vater verworfen, meine Diener grausam ermordet und mich, den ihr doch nicht ausschließen könnt, ausgeschlossen!" Aber die Römer unterwarfen sich wohl einem Herrscher, der ihnen seine Kraft bewies, einen frommen Schwärmer und Barbaren, der sie mit weinerlichen Worten an sich fesseln wollte, verachteten sie.

Als Otto III. im Jahre 1000 in Aachen war, ließ er sich die Gruft Karls des Großen öffnen. Mit drei Begleitern drang er in das vom Geruch der Verwesung erfüllte Gewölbe ein und sah den toten Kaiser, so erzählt die Überlieferung, aufrecht, als lebe er, auf seinem Stuhle sitzen. Er hatte eine Krone auf dem Haupte, und die Nägel waren durch die Handschuhe, die er trug, hindurchgewachsen, ein grauenvolles Zeichen posthumer Lebendigkeit. Der Toten Grabesruhe zu stören war von der Kirche verboten und widerstrebte dem Gefühl des Volkes. Man glaubte, der edle Geist sei dem Königsjüngling zürnend erschienen und habe ihm ein ruhmloses Ende geweissagt. Er starb zwei Jahre später zu seinem und des Reiches Glücke: denn die Unzufriedenheit der Deutschen wäre vermutlich bald zum Ausbruch gekommen und hätte ihn jeder Grundlage beraubt.

Aus: Ricarda Huch, Die Ottonen, in: dies., Römisches Reich Deutscher Nation. Mit einer Einführung von August Nitschke, Zürich: Manesse 1987, S. 92-111, hier S. 107 ff.