Geschichte und Verbleib

Unter den Staufern wurde die Reichskrone meist auf dem Trifels verwahrt, von 1125-1273. Vom 22. März 1424 bis zum Jahr 1796 wird dann die Stadt Nürnberg Hüterin des Reichsschatzes, Aufbewahrungsstätte ist das Heilig-Geist-Spital. Nach Zwischenaufenthalten in Regensburg und Passau gelangten die Reichskleinodien schließlich nach Wien. Aber dort waren sie nicht sicher vor dem nach Kaiserwürden strebenden Napoleon. Die Reichskleinodien wurden in Ungarn versteckt. Erst ab 1818 ruhten sie ungestört in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien, bis sie 1938 Adolf Hitler nach Nürnberg "heim" holte zum 10. Reichsparteitag der NSDAP. 1946 wurde die Krone mitsamt den Reichskleinodien rückgeführt nach Wien.

Die Revolution von 1848 hatte durch das Frankfurter Parlament eine neue Verfassung erwirkt, die einen "Kaiser der Deutschen" zum eigentlichen Träger der Reichsexekutive erhob. Mitglieder der Nationalversammlung (darunter Gabriel Riesser) hatten dem Preußen­könig Friedrich Wilhelm IV. das Angebot überbracht, fortan die Kaiserkrone aus Wien zu tragen. Bekannt ist, daß die Weigerung Friedrich Wilhelms IV. das ausschlaggebende Moment für das Scheitern der Frankfurter Paulskirchenbewegung geworden war.

Bestürzend aber war der selbstbekundete Beweggrund im Verhalten des Preußenkönigs. Für ihn war die Erneuerung der alten Kaiserwürde vor allem deshalb unannehmbar, weil ihr jetzt der "Ludergeruch der Revolution" anhafte. In einem Brief an Bunsen, der zugeraten hatte, weist Friedrich Wilhelm IV. das Begehren der Revolutionäre bissig zurück:

"Die Krone, die ein Hohenzollern nehmen dürfte, wenn die Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit fürstlicher Zustimmung eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht, sondern eine, die den Stempel Gottes trägt .... Die Krone, die die Ottonen, die Hohenstaufen, die Habsburger getragen, kann natürlich ein Hohenzollern tragen, sie ehrt ihn überschwänglich mit tausendjährigem Glanze. Die aber, die Sie - leider - meinen, verun­ehrt überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848, der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch, Gottlob, nicht bösesten dieses Jahrhunderts. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemand gestohlen worden ist, zu tragen? ... Ich sage es Ihnen rund heraus: Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation, die 42 Jahre geruht hat, wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sie vergeben werden. Und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt!"

In historischer Stunde fixierte der preußische König hauptsächlich die unaristokratische Herkunft der kaisermachenden Personen. Die eigentlich überpersönliche Hoheit der Reichskrone in ihrer Sakramentalität mußte ihm fremd bleiben. Hätte nicht die Predigt vom "König der Könige", die aus der Reichskrone sprach, Friedrich Wilhelm IV. beeindrucken können, weil gerade er sich ökumenisch und christlich gesonnenen Beratern eines "anderen Preußen" geöffnet hatte? Aber das Opfer wurde nicht anerkannt, das Demokraten, Liberale brachten, indem ausgerechnet sie die alte Kaiserkrone antrugen. Mochte man in Berlin vor allem besorgt gewesen sein, daß die Annahme der Kaiserkrone ein militärisches Eingreifen Österreichs und Rußlands nach sich ziehen konnte, so drängt sich in Anbetracht der nachfolgenden deutschen Geschichte trotzdem die Frage auf, ob hier nicht ein großer Augenblick kleinmütig verpaßt wurde.

Die Krone konnte dann nach 1848 keine tiefere Ehrfurcht mehr erheischen. Als sie den Gründungsfeierlichkeiten des "zweiten" Reiches 1871 Symbolkraft leihen sollte, blieb es ja bei einem eher geschmacklosen Versuch. Die biblisch-christliche Aussage war verstummt, aber die Reichsidee lebte fort, nun auf Christus den Welterlöser und König der Könige verzichtend. Stattdessen wird die "Germania" abgebildet.

Dann schließlich pervertierte die alte Reichsidee so sehr, daß sie, die einst der weltenrichtenden Majestas Domini unterworfen sein wollte, sich nun selbst zum Weltenrichter erhob. Das sogenannte "dritte" Reich war der schlechthin entchristlichte Staat, der doch raffiniert mit dem ersten mittelalterlichen Reich als großem Vorbild die Massen anlockte.

Der nationalsozialistische Mißbrauch der Reichskrone hat nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ein totales Vergessen bewirkt. Seitdem ist der Ort der Krone allein das Museum. Wo immer Veröffentlichungen über die neuere deutsche Geschichte und Gesellschaft erscheinen, wird man die Stichworte "Krone" und auch "Reich" meist vergeblich suchen. Ist die Reichskrone nicht ein Kunstwerk, welches wie wohl kein anderes im Abendland tiefgreifend gesellschaftspolitisch gewirkt hat? Hat nicht noch vor wenigen Jahrzehnten das Wort "Reich" eine uralte, massenerweckende Zauberformel angesprochen? Begriffe können mächtig sein - aber ihres konkreten ursprünglichen Inhalts entleert können sie Verhängnis wirken. Das Ergebnis ist, "dass die Reichstradition an ihre Grenzen gekommen ist, erschöpft, verbraucht, verdorben" (R. Wittram). Das moderne Deutschland hat sich seiner Krone entfremdet, der es fast ein Jahrtausend Gefolgschaft geleistet hatte.

Nun ist freilich jenes Reich dahin, und seine Krone strahlt doch weiter schön wie vor tausend Jahren. Ihr kosmopolitisches Wesen ist heute noch deutlich erkennbar, ihre großartige politische Vision der wahren friedlichen Gesellschaft im himmlischen Jerusalem ist heute noch anschaubar: "Jerusalem, du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des Herrn" (Jes. 62,3). Im Bild des himmlischen Jerusalems ist die Reichskrone das Bild einer Gesellschaft, in der die Menschheit zu sich selber kommen sollte, nämlich zum Kosmokrator Christus in einem Reich des Weltfriedens und der Welterlösung.

Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone, 1976