von Uwe Steffen
Im vierten Kapitel des Buches Jona wird erzählt, daß sich Jona gleich nach Erledigung seines Auftrages ostwärts von Ninive in einer selbsterbauten Laubhütte niederläßt, um in Ruhe abzuwarten, was mit der Stadt geschehen würde. Er ist mißmutig und zornig, weil Gott sich des von ihm angekündigten Gerichts gereuen ließ. Er hat das Leben satt: "So nimm denn nun, Herr, mein Leben von mir! Denn Sterben ist besser für mich als Leben." Darauf erteilt ihm Gott eine Lektion, indem er eine Rizinusstaude über ihm aufschießen und wieder verdorren läßt.
Mit Verwunderung sieht man, was in der frühchristlichen Grabkunst aus dieser Szene geworden ist. Die Darstellung des Jona findet sich nicht nur gelegentlich in der Katakombenmalerei, sondern sie ist "das früheste und häufigste christliche Bildthema der Sarkophagplastik der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts" (J. Engemann). Es gibt ein-, zwei-, drei- und vierszenige Jonadarstellungen. Die einszenige Jonadarstellung, die zeitlich vor den mehrszenigen erscheint und zahlenmäßig überwiegt, zeigt Jona in paradiesischer Nacktheit in einer Laube ruhend oder schlafend. Sie ist hinsichtlich der Bildgestaltung an die antike Darstellung des schlafenden Endymion angelehnt und verschiedentlich mit bukolischen Motiven ausgeschmückt, die zu den beliebtesten der Zeit gehörten: Jona hält einen Hirtenstab (Pedum) in der Hand, Schafe weiden um ihn herum, und auf der Laube sitzt eine (Friedens-?)Taube.
Zwei Einzelheiten verraten, daß diese Darstellungen dem hellenistischem Bereich (hellenistisches Diaspora Judentum?) entstammen. Erstens wird das verschlingende Ungetüm nicht als "Fisch" dargestellt, wie der hebräische und lateinische Text besagen, sondern als "Meerungeheuer" (Ketos), wie die griechische Septuaginta übersetzt. Zum andern ist die Laube auf diesen Darstellungen fast immer als Kürbislaube, genauer als Flaschenkürbislaube dargestellt. Hier fließen die Laubhütte, die sich Jona baut, und die Staude, die Gott wachsen läßt, in einem Bild zusammen. Im hebräischen Urtext ist von einer Rizinusstaude die Rede; die Septuaginta jedoch übersetzt: Kürbis.
Die emblemartige Fassung der "Jonasruhe" legt den Gedanken nahe, daß es sich hier nicht um eine Illustration der Jona-Erzählung, sondern um eine symbolische Darstellung handelt, die mit der Verwendung in der Grabkunst im Zusammenhang steht. Zwei verschiedene Deutungen sind dieser Symbolszene gegeben worden:
A. Stuiber und E. Stommel verstehen sie als Darstellung des schlafenden Ausruhens im Tode: "Der schlafende Jonas ... kann nur mit dem Aufenthalt der Toten im Schlafe des unterirdischen Totenreiches zusammenhängen." Die Nacktheit "entspricht der antiken Anschauung von der Nacktheit der abgeleibten Seele". Als Parallele dazu wird der schlafende Endymion genannt, der ebenfalls auf Gräbern verwendet wurde und ikonographisch dem ruhenden Jona entspricht. Aus diesem Befund ist man zu der Auffassung gekommen, daß hier "mit dem geringsten Aufwand an szenischer Veränderung aus dem heidnischen Todessymbol ein (jüdisch?) christliches Grabbild" geschaffen wurde.
F. Gerke und J. Engemann verstehen dagegen die "Jonasruhe" im Rahmen der Paradiessymbolik (Nacktheit, Laube) als Ausdruck seligen Ausruhens am rettenden Ufer der Ewigkeit: "Wie Jonas aus dem Rachen des Ketos und aus dem Meer des Todes wieder aufstieg, um in Seligkeit in der Kürbislaube auszuruhen, so wird die verstorbene Seele im Augenblick ihrer Entleibung aufsteigen aus der Sphäre des Todes in das Paradies." Die Verbindung der Szene mit bukolischen Darstellungen deutet darauf hin, daß das friedliche und beglückende "einfache Leben" auf dem Lande als "Wunschbild für den erhofften Jenseitsfrieden" zu verstehen ist. Wie in der heidnischen Sarkophagkunst zuweilen eine Gestalt der Reliefdarstellungen als "Jenseitsbild des Sarkophaginhabers" mit porträthaften Zügen des Verstorbenen versehen ist, so auch der ruhende Jona. Von daher wird die eigenartige Wiedergabe des ruhenden Jona als Frau in einer Grabkammer zu Fünfkirchen verständlich - eine Parallele zu der Orantin Juliane, die auf ihrem eigenen Sarkophag an Stelle des Noah in der Arche dargestellt ist.
Bestätigt wird diese Deutung durch folgenden Tatbestand: Die dreiszenige Jona-Darstellung zeigt den Meerwurf, die Ausspeiung und das Ruhen Jonas in der Kürbislaube. In diesen drei Bildern ist das Drama der christlichen Seele geschildert, der Weg vom Erdenleben durch den Tod (Meerwurf) und die Auferstehung (Ausspeiung) zum ewigen Leben (seliges Ruhen). Auch in diesem dreiszenigen Zyklus ist der ruhende Jona größen- und bedeutungsmäßig die zentrale Szene.
Auszüge aus: Uwe Steffen, Jona und der Fisch. Der Mythos von Tod und Wiedergeburt, Stuttgart: Kreuz 1982, S. 59-61. Dort auch die hier fehlenden Anmerkungen.