„Rohgerührte Zitronencreme“... geschrieben von „Turmfalke“

Aus: Ruthmarijke Smeding/ Margarete Heitkönig-Wilp (Hg.), Trauer erschließen – eine Tafel der Gezeiten, Wuppertal: hospiz 2005, S. 262 f.

Mit der Beziehung zu Gott ist es wie mit der Zubereitung und dem Essen von rohgerührter Zitronencreme: Man nehme pro Person: 1 Eigelb, 2 Löffel Zucker, abgeriebene Zitronenscha­le, l Blatt weiße Gelatine, 2 Eßlöffel Zitronensaft und Wasser, 1 Eischnee.

Mein Weg zu Gott besteht aus mancherlei Zutaten; komme ich alleine zu ihm, gelten die Zutaten für l Person, habe ich Gepäck mit, eigenes oder das Gepäck anderer, oder trage ich eine Person auf meinem Rücken, so verdoppele oder verdreifa­che ich die Rezeptur.

Die rohgerührte Zitronencreme ist nicht einfach zuzubereiten, es sind mehrere Arbeitsvorgänge nötig. So sind auch meine Wege zu Gott: nie schnurgerade und einfach. Es sind Pausen nötig, ich wäge ab, ich bedenke vielerlei und tue und fühle Un­terschiedliches. Zuerst weiche ich die Gelatineblätter in Was­ser ein. Was ich zu Gott bringen möchte, schiebe ich erst mal weg, stecke es in einen Topf, den ich aber nicht verschließe, sondern offen stehen lasse. Dort drin findet etwas statt, dort gucke ich ab und zu hinein, jetzt schlage ich das Eigelb und den Zucker schaumig, nichts darf mehr knirschen, es muß eine glatte, weiche Creme entstehen.

In meinem Leben passieren oft Dinge, die nichts miteinander zu tun haben und doch entstehen langsam Verbindungen zueinander, Verbindungen, die sich ergänzen. In die Zucker-Ei-Creme kommt geraspelte Zitronenschale von ungespritzten Zitronen.

Während ich raspele, spritzt es leicht, ätherische Düfte steigen hoch und meine Finger werden ölig und gelb. Will ich ehrlich vor mir und Gott sein, zerlege ich einiges in seine Bestandteile und ich komme dabei nicht ungeschoren davon, meine Finger bleiben nicht unberührt, sie sind inmitten des Geschehens und kriegen ihr Teil ab, auch die Nase kann sich nicht raushalten. Der Weg zu Gott ist eben nicht nur reinen Herzens und nur mit einem Körperteil möglich. Alles muss ich mitnehmen: Ein­zelteile, Bruchstücke, Flecken und Gerüche.

Nun stelle ich die Zucker-Ei-Zitronenschalen-Creme beiseite. Ich drücke die Flüssigkeit aus der eingeweichten Gelatine und lege sie in einen Topf, ich presse die Zitrone aus, verdünne den Saft mit etwas Wasser, gebe es zu dem Gelatineblatt und wärme alles zusammen ganz langsam und vorsichtig. Es muss mit einem kleinen, flachen Schneebesen gerührt werden, aber bitte langsam, und es darf nicht kochen. Ist die Gelatine rückstandslos aufgelöst, wird diese warme Flüssigkeit unter Rühren (nicht mit dem Mixer) in die Zucker-Ei-Zitronenschalen-Masse gegeben und alles gut miteinander vermengt. So ist Gott mit mir; er löst mich auf, er verändert meine Konsistenz, er rührt alles in mir durch, er mischt zusammen bis Neues entsteht, aus Saurem und Süßem, aus Dickem und Dünnem.

Die sehr dicke Creme ist nun recht flüssig geworden. Sie wird an die Seite gestellt und in großen Abständen durch ein leich­tes Durchfahren mit einem Löffel überprüft, ob die Gelatine ihre Wirkung tut und alles festigt. Manches Mal fühle ich mich auf einem Abstellgleis bei Gott, aber dann kommt seine Hand und berührt mich flüchtig; dann weiß ich, er ist noch da. Er lässt mich in Ruhe, da sammelt sich etwas, es darf aber nicht geschüttelt oder durcheinander gebracht werden.

Nun fahre ich mit dem Mixer in das Eiweiß, ich tue dem Eiweiß Gewalt an, aber heraus kommt eine schaumige Masse, die im Becher bleibt, wenn ich den Becher umdrehe. Das ist etwas Merkwürdiges: leicht, voller Luftblasen, aber gleichzeitig fest. Nehme ich etwas davon auf die Zunge, schmeckt es seltsam und verflüchtigt sich knisternd, ohne dass ich darauf beißen kann. Ob er, Gott, so ist? Leicht wie der Eischnee, undefinier­bar im Geschmack, nicht zu fassen? Glaube ich, ihn anfassen zu können, verflüchtigt er sich leise knisternd. Und doch ist er fest und sicher, hat Form und Gestalt.

Ist die gelbe Zucker-Ei-Zitronenschalen-Gelatine-Creme sehr dick und sämig und schwer geworden, ziehe ich langsam und vorsichtig den Eischnee unter und fülle mit dieser Masse eine Schüssel oder mehrere Gläser, letzt wird sie paar Stunden kalt gestellt und mit Genuss die Schüssel ausgeleckt, als Vorfreude auf den morgigen Tag. Mein Weg zu Gott, mein Weg mit ihm, ist manches Mal zäh und schwer und meine Füße scheinen irgendwo anders festzukleben. Doch auf diesem Weg beglei­ten mich andere Menschen und gehen sehr behutsam und liebevoll mit mir um. Alles bleibt beieinander in mir, nichts geht verloren und doch wird Neues vorsichtig untergemengt, Neues, das den Weg leichter macht.

Und dann kommt die Stunde des Genusses. Die Konsistenz der rohgerührten Zitronencreme ist leicht und luftig, der Ge­schmack einfach köstlich. Ich schließe die Augen, fühle mich gut, genieße die Summe der Zutaten. Und manchmal lehne ich mich zurück und konzentriere mich auf Einzelnes. So wie ich in Musikstücken mich darauf konzentrieren kann, mit dem Ohr einmal die Geigenstimme herauszuhören, ein anderes Mal die Flöten, so versucht mein Mund, meine Zunge, intensiv die Süße zu spüren, das Saure wirken zu lassen, von der Leich­tigkeit überrascht zu werden, die Intensität des Gesamtge­schmacks wahrzunehmen.

Diese rohgerührte Zitronencreme bereitete meine Mutter nur an hohen Festtagen zu und ich halte es genauso. So ist das wohl mit Gott und mir. Ihn so dicht, so intensiv zu spüren, sind Sternstunden, sind Festtage – ist nicht Alltag, ist wie eine unverdiente Belohnung für ... Ja, wofür? Ich nehme es als Geschenk, das ich auspacken kann, riechen, spüren, dessen Einzelteile ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann, dessen Gesamtheit aber mein ganzer Körper erfährt. Es ist ein inten­sives Erlebnis, lässt sich aber nicht festhalten, verflüchtigt sich. Doch die Erinnerung der Erfahrung bleibt und rettet und be­gleitet mich bis zur nächsten Zitronencreme.